Die wiederkehrenden Proteste der Bevölkerung gegen unkontrollierten Über-Tourismus auf den spanischen Ferieninseln machen das Land zu einem europäischen Testfall dafür, ob die Wut in eine Kraft der Erneuerung und nicht der Destabilisierung umgewandelt werden kann.

Auch am vergangenen Wochenende protestierten wieder Zehntausende von Einwohnern auf den Inseln Mallorca und Gran Canaria lautstark gegen die Auswüchse des Massentourismus, die ihnen die Grundlagen zum Leben in ihrer Region oder ihrer Heimatstadt nehmen. Sie haben schlicht keine Möglichkeit mehr, eine bezahlbare Wohnung zu finden, da der gesamte Wohnraum von den Eigentümern als Feriendomizil an Touristen vermietet wird. Damit lässt sich mehr Geld verdienen, als durch eine normale Vermietung, auch wenn die Wohnungen außerhalb der Saison leer stehen. Die gesamte Infrastruktur von der Gastronomie über den öffentlichen Nahverkehr bis zu Geschäften ist ebenfalls ausschließlich auf Touristen zugeschnitten.

Dieses Problem haben die Spanier aber nicht exklusiv. Fast alle europäischen Ferienregionen und Städte haben mit den Folgen des unkontrollierten Tourismuswachstums zu kämpfen. In beliebten Touristendestinationen wie Venedig, Barcelona oder Amsterdam sind nach Aussagen der Protestierenden kaum noch Einheimische zu finden, vor allem junge Menschen finden keine bezahlbaren Wohnungen mehr und können sich die hohen Lebenshaltungskosten nicht leisten. Sie sind gezwungen, ihre Heimatstädte zu verlassen.

Trotzdem richten sich die Proteste in ganz Europa nicht gegen einzelne Besucher, sondern gegen die eigene Tourismusindustrie und die Regierungen, die in der Vergangenheit das unkontrollierte Wachstum des Tourismus zugelassen haben, ohne die Folgen für die eigene Bevölkerung bedacht zu haben. Im Gegenteil: Mit aufwändigen Werbekampagnen hat man versucht, die Touristenströme möglichst in die eigene Region oder Stadt zu lenken. Viele haben davon profitiert und wehren sich auch nicht generell gegen Touristen. Ein Slogan auf den Kanarischen Inseln brachte die allgemeine Stimmung auf den Punkt: „Tourismus ja. Aber nicht so.“

Gefordert wird also ein Umdenken der Regierenden und der einheimischen Tourismusindustrie, die die Touristenmassen mit kreativen Ideen und Maßnahmen steuern und teilweise auch begrenzen sollen. In den Diskussionen zeichnen sich einige Maßnahmen zur Abhilfe gegen den Über-Tourismus ab, die sich in verschiedene Kategorien einteilen lassen:

  • Eine entscheidende Lösung besteht in einer besseren Überwachung und strengeren Kontrollen durch die regionalen und lokalen Regierungen, z. B. durch ein hartes Durchgreifen gegen den Missbrauch öffentlicher Räume und Maßnahmen zur Bewältigung der Wohnungskrise.
  • Eine andere Lösung besteht darin, sich vom Massentourismus zu verabschieden und eine neue Art von Gästen anzulocken, indem man einen hochwertigen Tourismus fördert, der sich auf die gehobene Gastronomie, Musikfestivals und das künstlerische Erbe konzentriert, insbesondere in Orten wie Barcelona.
  • Eine weitere Lösung, die von der Reisebranche unterstützt wird, argumentiert, dass das Problem in der unzureichenden Kapazität und nicht in zu vielen Touristen liegt. Es werden koordinierte Investitionen in den Wohnungsbau, den städtischen Verkehr und die Wassersysteme gefordert.
  • Die radikalste Lösung wird mit dem Begriff „de-growth“ umschrieben, d. h. die Reduzierung der Gesamtzahl internationaler Touristen. Dieser Ansatz umfasst viele Aspekte, er soll der einheimischen Bevölkerung ihre Heimat zurück geben, legt aber auch einen Schwerpunkt auf mehr Umwelt- und Klimaschutz durch die Verringerung der Kohlenstoffemissionen und verdeutlicht gleichzeitig die Ungleichheiten bei der Erschwinglichkeit von Reisen.

(red)

Quelle: Financial Times

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