Politisch motivierte Gewalt hat in Deutschland stark zugenommen. Die gerade vom Innenministerium und dem Bundeskriminalamt (BKA) vorgestellte Statistik des Jahres 2023 hat erschreckende Zahlen offen gelegt: Noch nie seit dem Beginn der Erfassung im Jahr 2001 wurden so viele Straftaten registriert, die aus Hass auf politisch anders Denkende verübt worden.
60.028 politisch motivierte Straftaten registrierte das BKA im vergangenen Jahr, doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Auffällig ist der massive Anstieg der Zahlen nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, der auch in Deutschland deutliche Spuren hinterlassen hat. Die Zahl der polizeibekannten Taten im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt betrug mit 4.369 im vergangenen Jahr mehr als das Siebzigfache des Vorjahrs (61 Delikte). Fast die Hälfte dieser Straftaten (1.927) werden ausdrücklich als antisemitisch gewertet, fast alle nach dem 7. Oktober begangen.
Kriminalwissenschaftler Prof. Dr. jur. André Schulz rät allerdings zur Vorsicht bei der Interpretation der Statistik: ,“Die Kriminalstatistik ist kein getreues Spiegelbild der Kriminalitätswirklichkeit, sondern eine je nach Deliktsart mehr oder weniger starke Annäherung an die Realität. Die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) müssen immer im Kontext bewertet und von Expertinnen und Experten interpretiert werden.“ Dabei führt er an, daß die Kriminalstatistik nur das Hellfeld der Straftaten betrachten kann, das Dunkelfeld bleibt dabei unbeleuchtet. Dieses Dunkelfeld wird durch die Kontrollaktivitäten der Polizei aufgehellt. „Die Zahl der Delikte hängt also stark von der Kontrollaktivität der Polizei ab. Ein Beispiel: Wenn ein Innenminister in einem Land möchte, dass die Zahl der Rauschgiftkriminalität signifikant steigt, weil er eventuell seinem Ressort mehr Bedeutung verleihen möchte oder um mehr Stellen für die Polizei zu beantragen, sorgt er dafür, dass die Polizei an entsprechenden Orten verstärkt Drogenkonsumenten kontrolliert. So steigen nicht nur die Fallzahlen in diesem Deliktbereich, gleichzeitig steigt auch die Aufklärungsquote.“ (Vollständiges Interview finden Sie über diesen Link)
Von den über 60.000 Straftaten werden 3.561 Delikte als politisch motivierte Gewalttaten gewertet. Innenministerin Nancy Faeser sieht darin einen „Angriff gegen unsere offene und freiheitliche Gesellschaft“. Der Rechtsstaat könne diese Gewalt nicht hinnehmen, sagte sie bei der Präsentation der Statistik. Der Staat müsse nun die Menschen in unserem Land schützen, die durch Rassismus, Judenhass, islamistische Gewalt, Rechtsextremismus oder Linksextremismus bedroht würden.
Fast die Hälfte aller Straftaten (28.945) werden dem rechten Spektrum zugeordnet, eine Zunahme von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Durch rechte Gewalt sind im vergangenen Jahr 714 Menschen verletzt worden. „In keinem anderen Bereich ist die Opferzahl so hoch“, sagte Faeser. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Taten stieg um 11,5 Prozent auf 7.777 (von 6.976 im Jahr 2022).
Der bei weitem größte Anstieg wurde bei den religiös motivierten Straftaten festgestellt: Sie stiegen laut BKA um 203 Prozent auf 1.458 Fälle (von 481 im Jahr 2022). Die Delikte im Zusammenhang mit einer ausländischen Ideologie stiegen um 33 Prozent auf 5.170. Es gibt laut Münch in beiden Bereichen ein großes Eskalationspotenzial. Auch die klar antisemitischen Straftaten erreichten mit 5.164 einen neuen Höchststand (davon 148 Gewalttaten). 53 Prozent dieser Delikte wurden nach dem 7. Oktober 2023 verübt, so dass der Angriff der Hamas auf Israel auch in Deutschland eine Zäsur für die Juden darstellte.
Die Statistik zeigt eine alarmierende Entwicklung in Deutschland. Angefeuert durch Hass-Mails und Falschmeldungen im Internet kommt es immer häufiger zu tätlichen Angriffen auf Juden, Migranten, Asylsuchende und Politiker. Es entsteht eine Spirale von Hass, Gewalt und Mord. Dem Staat gelingt es kaum, die Ausbreitung politischer Gewalt zu stoppen. BKA Chef Münch prophezeit sogar eine Zunahme dieser Gewalttaten im Umfeld der Europawahl und der drei Landtagswahlen im Osten des Landes.
(red)